Zum Leben und Wirken von Hans Sauer (Monika Sachtleben)
Hans Sauer war eine umfassend schaffende, herausragende und weithin geschätzte Persönlichkeit. Er verkörperte in einer Person den bahnbrechenden Erfinder, den erfolgreichen Unternehmer und den engagierten, verantwortungsbewusst handelnden Stifter.
Der Erfinder und Unternehmer
Hans Sauer kam am 4. Juni 1923 als Sohn eines Landwirt-Ehepaares in Mladetzko im deutschsprachigen Sudetenland auf die Welt. Nach dem Besuch der Schule machte er eine Ausbildung zum Landwirt. Er wollte gerne studieren, aber weil sein Vater es ihm mit den Worten „Du wirst kein Advokat, sondern ein anständiger Mensch – also Landwirt“ verweigerte, meldete er sich im Jahr 1940 freiwillig zum Dienst bei der Luftwaffe. Er geriet in den letzten Kriegsmonaten in amerikanische Kriegsgefangenschaft, machte dort eine Ausbildung zum technischen Zeichner und kam 1946 in seine neue Heimat München.

Dort absolvierte er ein Studium in Feinmechanik und Optik am Oskar von Miller-Polytechnikum, beschäftigte sich mit Betriebswirtschaft, aber auch mit Graphologie und Astrologie. All dies weitete seinen Geist und schulte ihn, über Grenzen hinaus zu denken und offen für Neues zu bleiben.
Sein beruflicher Werdegang begann 1950 bei der Siemens AG mit der Entwicklung von Relais. Seine erste Patentanmeldung war eine elektronische Uhr, deren Anzeige aus Neonröhren bestand. 1954 zog es ihn nach Amerika, wo er einige Jahre als „relay designer“ bei den US-amerikanischen Unternehmen Autelco und Comar arbeitete. Nach seiner Rückkehr war er zunächst als Ingenieur bei der Schaltbau GmbH in München tätig.
Insgesamt verbrachte er 12 Jahre mit der Entwicklungsarbeit in großen Unternehmen und war damals – ganz im Gegensatz zur Meinung der übrigen Fachwelt – der Überzeugung, dass ein Ende der Relaistechnik noch lange nicht in Sicht war. Sein konträrer Standpunkt basierte auf seinen fundierten Berechnungen idealer Magnetsysteme und einer grundsätzlich neuen Relaiskonzeption. Seine Leistungen in der Relaisentwicklung wurden von vielen Leuten missachtet, die das Potential seiner Erfindungen nicht sahen und die die Hindernisse scheuten, die Neuerungen naturgemäß mit sich bringen. Die Erkenntnis, dass Fortschritte in der Technik oft nur durch das Überwinden festgefügter Ansichten möglich sind, führten dazu, dass er sich im Jahr 1962 mit der Gründung seiner Firma SDS selbstständig machte. Auf der Suche nach den notwendigen Lizenznehmern und Kapitalgebern für seine Erfindungen fand er schließlich 1963 den für ihn idealen Kooperationspartner in der japanischen Matsushita Electric Works Ltd. Dies führte schon bald zur Umgründung in die SDS-Relais AG mit Sitz in Deisenhofen bei München und auch zum Aufbau moderner Produktions- und Vertriebsstätten in Deutschland, Österreich, der Schweiz, Frankreich, Italien, England und Schweden sowie in den USA.

Vor allem die wissenschaftliche Gründlichkeit, gepaart mit dem erfinderischen Wirken von Hans Sauer führten zu Verbesserungen, die damals die gesamte Fachwelt überraschten:
· eine 99,9%ige Einsparung der sogenannten Erregerleistung,
· eine 10-fach höhere Lebensdauer,
· eine 100-fach höhere Zuverlässigkeit,
· eine1000-fach höhere Effizienz.
Seine Erfindungen führten von der Alternative „Relais oder Elektronik“ zu der verbreiteten Variante „Elektronik mit Relais“. Davon zeugen seine 192 Patente als freier Erfinder, seine 117 Firmenpatente für Gemeinschaftserfindungen mit Fachkolleg*innen sowie sein Wirken als Hauptautor des in fünf Sprachen erschienen „Relais Lexikon“.
Eine Herzensangelegenheit war ihm Zeit seines Lebens das Wohl seiner sudetendeutschen Landsleute. Durch seine Initiative und Mit-Autorenschaft entstanden acht Heimatbücher und er engagierte sich als Kurator der Sudetendeutschen Akademie der Wissenschaft und Künste.
Zudem war Hans Sauer Mitinitiator und Kurator von DABEI, der „Deutschen Aktionsgemeinschaft Bildung, Erfindung und Innovation“. In diesem Zusammenhang entstand in den 1980er Jahren auch das „DABEI Handbuch für Erfinder und Unternehmer“. Ein Praxisbuch, an dem über 100 bedeutende Erfinder*innen, Wissenschaftler*innen und Unternehmer*innen mitarbeiteten. Die Intention war, deren Wissen und Erfahrung zu bündeln und ein Werk zu schaffen, mit dem Menschen arbeiten können, die in kreativen und innovativen Prozessen tätig sind. Es zeigt innovationsfördernde und -hemmende Momente auf und betont schon früh die Bedeutung einer ethischen Grundhaltung des Menschen in seinem Tun.
Für sein technisches und unternehmerisches Wirken sowie sein gesellschaftliches Engagement wurde Hans Sauer vielfach geehrt und ausgezeichnet:
· 1968 mit dem Münchner Elektronik Preis
· 1981 mit der Urkunde des Deutschen Erfinderverbandes
· 1982 mit der Dieselmedaille in Gold
· 1983 der Ehrenurkunde für den Verdienst um den Aufbau der deutschen Wirtschaft
· 1984 der Aufnahme in die Erfindergalerie des deutschen Patentamtes
· 1987 der Ernennung als ständiger Ehrengast der ETH Zürich
· 1988 dem Bundesverdienstkreuz 1. Klasse
· 1990 der Ritter von Gerstner Medaille
· 1993 der Ehrendoktorwürde der TU Dresden.
1989 verkaufte Hans Sauer sein Unternehmen an den Matsushita-Konzern (heute u. a. Panasonic Electric Works Europe AG in Holzkirchen).
Der Stifter
1989 wurde die Hans Sauer Stiftung aus der Intention heraus gegründet, etwas für das Erfinderwesen in Deutschland tun zu wollen und herauszufinden, wie Innovationen und kreative Prozesse gestaltet und besser werden können.
Hans Sauer beschäftigten Zeit seines Lebens Fragen nach den subtilen Regeln kreativer Prozesse:
· Wie funktioniert Kreativität?
· Wo passiert sie?
· Was sind limitierende Faktoren in Gesellschaft, Bildung, Kultur?

Rückblickend auf seine erfolgreichen Erfindungen stellte er fest, dass hier immer zwei Faktoren entscheidend gewesen waren:
· Wenn der scheinbare Zufall eine Rolle spielt,
· Wenn sein Bedürfnis Probleme zu lösen aus einer inneren Haltung kam, die mitfühlend und helfen wollend war.
Diese Kreativität, die dann entsteht, bezeichnete er als kybernetische Kreativität, weil sie weit über eine individuelle Geistesleistung hinausgeht. Für ihn waren solche kreativen Prozesse von einer tiefen Glückserfahrung geprägt und hatten auch eine spirituelle Qualität. Er bemerkte, dass hier eine Ethik wirkt, deren Werte von hoher Moral und Suche nach Wahrhaftigkeit geprägt ist. Hans Sauer nannte diese innere Haltung „Kooperation mit der Evolution“. Seiner Lebenserfahrung nach bekommen menschliche Kreativität und menschliches Handeln eine neue Dimension, wenn sie als Teil eines schöpferischen Gesamtprozesses innerhalb der Evolution verstanden werden.
Hans Sauer, der mit seinen Erfindungen die Relaistechnik revolutionierte und ein internationales Unternehmen aufbaute, begann also gegen Ende seines Lebens den unbeantworteten Fragen nachzugehen, die sich in seinem kreativen Wirken immer an der Grenze zwischen Wissen und Noch-nicht-Wissen gestellt hatten.
Er suchte Antworten und Kontakt zu vielen Menschen, die für ihn wichtig waren und von denen er annahm, dass sie in ähnliche Richtungen dachten oder ähnliche Erfahrungen auf ihrem Gebiet gesammelt haben.

So entstand das gleichnamige Buch: „Kooperation mit der Evolution“, bei dem diese Ansätze mit namhaften Erfindern, Wissenschaftlern und Vordenkern diskutiert und ausformuliert wurden.
Dabei war Hans Sauer der Praxisbezug immer wichtig. Das Gründungskuratorium der Stiftung war mit namhaften Persönlichkeiten wie
· Ludwig Bölkow, dem Pionier der Luft- und Raumfahrt,
· Artur Fischer, dessen Dübelverbindungen jeden Haushalt zusammenhalten und dessen Baukästen tausendfach kindlichen Erfindergeist geweckt haben, oder
· Wilhelm Ebert, langjähriger Präsident des Bayerischen Lehrer- und Lehrerinnenverbandes und des Weltlehrerverbandes und ein in Bayern und international wirkender Reformer des Bildungssystems
prominent besetzt.
Gemeinsam verkörperten diese Menschen Offenheit, Neugier und eine beeindruckende geistige Flexibilität. Sie legten offen, dass ihre Kreativität und Innovationen von einem tiefen Bedürfnis, etwas besser machen zu wollen und einer weitgreifenden holistischen Weltsicht getragen wurden – und aus der alltäglichen Praxis kreativen Handelns erwachsen war.
Bei den vielen anregenden Treffen dieser Vordenker und Visionäre entstand folgende These, die auch zur Vision der Hans Sauer Stiftung wurde:
„Das entscheidende Kriterium des Denkens ist die Suche nach Wahrhaftigkeit. Die Ethik, die einem Gedanken im Augenblick seines Entstehens zu Grunde liegt, prägt die Qualität und Wirkung des Erdachten“.
Hans Sauer erlebte die Fertigstellung des Buches „Kooperation mit der Evolution“ nicht mehr. Sein Lebensweg ging am 13. Mai 1996 inmitten seines Schaffens zu Ende. Getragen von einer solch kraftvollen Vision entwickelt sich die Stiftung weiter. So zeugt auch der erweiterte innovative Ansatz mit Schwerpunkt auf gesellschaftliche und ökologische Themen von der Reichweite und dem Vordenken unseres Stifters.
Hans Sauer hatte eine große Klarheit und innere Gewissheit etwas zu tun, obwohl die gängige Meinung dem oft nicht entsprach. Der Mut, die Unbeirrbarkeit, gepaart mit seinem Charme und seiner Offenheit wirken in der Arbeit der Stiftung und in der Erinnerung der Menschen, die ihn kannten, schätzten und liebten.
Quellen:
– Kooperation mit der Evolution, Herausgeberin Monika Sauer Sachtleben, Diederichs Verlag 1999, S. 9-67
– Laudatio zur Ehrendoktorwürde TU Dresden, Prof. Dr.-Ing.habil. Werner Krause (1993) Wikipediaeintrag Hans Sauer (zuletzt abgerufen am 1.6.2023)
Das Denken und Wirken Hans Sauers und die aktuelle Arbeit der Hans Sauer Stiftung
Aus dem gegenwärtigen Team der Hans Sauer Stiftung kannten nur die mit ihm verwandten Mitglieder des Kuratoriums den Stifter noch persönlich. Gleichzeitig ist seine Person mit ihrer Haltung, ihren Ideen und ihre Gedanken dauerhaft in der Arbeit der Stiftung präsent. Das findet nicht nur in dem jährlich verliehenen Hans Sauer Preis seinen unmittelbaren Ausdruck, sondern betrifft auch alle anderen Aktivitäten und Projekte der Stiftung. Die Leiterin des Förderbereichs drückt es so aus: „Seine Vision für die Stiftung ist eine langfristige und auch nach 34 Jahren noch aktuelle Basis, die mir bei der Suche nach neuen Themen und Arbeitsweisen Orientierung gibt. Ich kann meine Arbeit immer wieder nach ihr ausrichten.“ Teammitglieder leiten aus seinen Intentionen auch heute noch ihren Auftrag ab, „die aktuell notwendige sozial-ökologische Transformation mitzugestalten – beziehungsweise es zumindest zu versuchen.“ Oder in den Worten der Projektmanagerin Vera Steinhauser: „Die Idee Hans Sauers, dass Erfindungen immer eine ökologische oder soziale Verbesserung mit sich bringen sollten, sehe ich als Grundgerüst meiner Arbeit. Mit jedem Prozess, den wir gestalten, mit jedem Projekt, in dem wir Menschen in innovativer Arbeitsweise zusammenbringen, möchte ich eine positive Veränderung gestalten – etwas verbessern.“ Seine Idee, mit Neuem gestaltend und verändernd zu wirken, hat die Stiftung heute in „ihre transformative Agenda“ übersetzt, deren Ziel es ist, „gesellschaftliche Veränderungsprozesse zu initiieren“, wie es der Vorstand Ralph Boch ausdrückt. Gründungen wie das social design lab und dessen Arbeit versteht die Projektmanagerin Jenny Gallen als eine „zeitgemäße Übersetzung“ von Hans Sauers Überzeugungen in die Praxis. In allen Bereichen der jüngeren und aktuellen Stiftungsarbeit finden sich für die derzeitigen Mitarbeitenden zahlreiche inhaltliche Bezüge zum Denken Hans Sauers: „Als Beispiele fallen mir die Förderungen von neuen Themen wie Social Entrepreneurship, innovativen Wohnungskonzepten, von technischen Innovationen wie whitecane, von neuen zivilgesellschaftlichen Kooperationen wie beim Innovationslabor für Integration oder Home not Shelter! sowie die Förderung von Forschungs- und Lehrmethoden wie Citizen Science, Reallabore, DesignBuild oder transdisziplinärer Forschung ein.“
Auch seine Haltung, Ideen und Ziele mit Nachdruck und Risikobereitschaft zu verfolgen, wirkt noch heute in der Stiftungsarbeit nach: „Die Dinge auch tatsächlich anzugehen und nach neuen und besseren Lösungen zu suchen, dieser Erfindergeist von Hans Sauer wird durch das Team der Hans Sauer Stiftung heute weitergelebt.“, sagt die Projektmanagerin Jenny Gallen. Und eine ihrer Kolleginnen fügt hinzu:
„Ich schätze Hans Sauer, der Erfinder und Unternehmer war, als einen Menschen ein, der Risiken nicht gescheut hat, immer neugierig auf Neues war und ‚um die Ecke‘ gedacht hat. Bezogen auf die Förderarbeit der Stiftung bedeutet das, offen für neue Themen zu sein, auch mal mit den Förderungen etwas ‚zu riskieren‘, um zukunftsweisende Ideen in die Gesellschaft zu bringen.“
Und auch seine ethische und empathische Haltung gehört zu den Grundsätzen der Stiftungsarbeit. So sagt die Kuratorin Ursula Sauer: „Helfen war ein Grundthema seines Lebens und ist auch immer noch die Basis der Stiftung. Anfangs war sie von ihm gegründet worden, um andere Erfinder zu unterstützen. Jetzt stehen Mensch und Natur eher übergreifend im Fokus der Stiftung.“
In diesem umfassenden Sinn widmet die Hans Sauer Stiftung ihre Arbeit auch weiterhin dem Denken und Handeln ihres Stifters und feiert dessen 100. Geburtstag am 4. Juni 2023.
